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  review HEROLD DES OFFENSICHTLICHEN  

  rbd BAD ALCHEMY # 108        
     
         
   
 

 

Wer ERIK MÄLZNER als HEROLD DES OFFENSICHTLICHEN (NO EDITION # 132, DL/USB) begegnet, lernt ihn gleich einmal mehr als Meister des lakonischen Understatements kennen: Es gibt viel zu erzählen / abends fliegt ein Flugzeug übers Haus / auf der Wiese lag ein totes Wiesel / es gibt viel zu erzählen / letztes Jahr zwei tote Ratten / verletzten Hasen beerdigt / es gibt viel zu erzählen / Sturm zog vorüber kein Schaden / einmal im Monat ein Fußgänger / es gibt viel zu erzählen. Dieses ländliche Stillleben 'Sensationen' zu nennen, Ha! Mälzner schillert elegisch & satirisch, idyllisch nie. 'Graue Theorie' als Aporie im Nebel, als Irren und Steckenbleiben, das hätte mit theoretisch sind alle Probleme gelöst auch Alexander Kluge nicht treffender pointieren können. 'Trautes Heim', gefüllt mit Hinterbliebenem und Stabgereimtem - Kisten und Körbe voller Musikinstrumente / Hautschuppen und Haare / Hobelspäne und Heureste -, ist im vorgreifenden Rückblick ein Memento mori. Was Mälzner als 'Essenz' aus steinernen Herzen presst und aus dem Intervall aus hohem Märchenton und dumpfem Leben, legt er in Zeitlupe einem zwitschernden Spatzen in den Schnabel. Zum Versäumen und Verschwinden gehört ein geträumtes 'Wiedersehen' mit einer nicht angesprochenen Fremden, das die Innereien aufstöhnen lässt. Dass einem 'Solitär' im Hortus conclusus über Jahre hinweg die Menschen und die Welt abhanden kommen und dass Krieg herrscht, merkt er erst, als 'auf einmal' alle weg sind. Bei 'Ganz schön vergesslich' sind das einstige Kennenlernen, die Sommernacht und der Sex vergessen, geblieben aber sind ihr Gesicht, ihr Lachen, ihre seligmachende Essenz, der Zeit enthoben wie bei Proust. 'Drei Mal Licht gemacht' gibt als Traum vom Radfahren, vom Linksabbiegen und davon, ein Buch auf jiddisch geschreiben zu haben, einen Einblick in die Werkstatt eines Kreativen als Fundbüro. Wäre Bibeln verbrennen ein Beitrag zum geträumten Bürger-'Krieg'? Die Wenigsten können weiße Kaninchen aus dem Hut zaubern. Zuletzt bei 'Kurven' kreisen die Gedanken lugubre um die unbeugsam stählerne Achse aus auf das Leben zurückblicken / dem Tod entgegensehen und darum, irgendwann wieder am Start zu stehen. Auch wenn ich weit davon entfernt bleibe, das, was Mälzner meint, zu sagen versucht oder sagt, so zu begreifen, wie er es meint, zu sagen versucht und auf kunstvoll lakonische und allemal mälznerische Weise auch sagt, vermittelt der abschiedssymphonische Grundtenor seiner Hauntologie doch nachdrücklich nur allzu offensichtliche Gründe für Melancholie und Morbidität. Die 'Gespenster seines Lebens' (um Mark Fisher abzuwandeln) kommen einem jedenfalls nur zu bekannt vor. Aber auch das immer geradeaus, das immer, das irgendwann wieder. Nicht weniger offensichtlich ist für mich die Absurdität, dass die kunstvoll in Moll getauchte Manier, wie Mälzner mit Midi-Keyboard, Kommas und Gedankenstrichen per Computer, metallischen Akzenten, tristen Streichern oder Pfeifen und vor allem dem gedehnt knarrenden, schleppend raunenden Sprechgesang dem Klang Aura und den Worten Eindringlichkeit verschafft, ihn nicht längst zum heimlichen Klassiker gemacht hat.

rbd BAD ALCHEMY # 108, Germany

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