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          Zu wundern braucht es also nicht, dass Mälzner sich als Kinderschreck 
          vorkommt. Zumindest singt er von einem, als ob er wüsste, wie sich 
          das anfühlt: ... vertreibt ihn / auch wenn er  noch so schön 
          spielt / gebt keinen Applaus / verstopft eure Ohren / auch wenn er noch 
          so schön singt / gebt kein Geld / haltet die Nase zu / er stinkt. 
           Das klingt, gelinde gesagt, sarkastisch und ist Teil von DES KNACKERS KLEINES LIEDERBUCH 
          (NO EDITION # 127, DL/USB), dessen lyrisches Ich - N.N. ward ich getauft 
          / doch bin ich unbekannt / nirgendwo ist mein Heimatland  - 
          55 Jahre nach Franz Josef Degenhardts "Spiel nicht mit den Schmuddelkindern" 
          keinen entscheidenden Schritt weiter ist. Zu wenig wurde anders, wir 
          wurden nur alt. Aus frechen Gören wurden Katzenomas und Schneckenopas 
          (im Blumengarten / wo die Schnecken auf mich warten ). Alte Knacker, 
          verkrachte Existenzen, an denen die Zeit die Zähne wetzt: knusper 
          knusper knäuschen / wer knuspert an meinem Heu / die Zeit die 
          Zeit / weit und breit nur Leid . Andererseits: leere Räume 
          haben es in sich / noch ist Leben drin (Augenschein). Doch wieder andererseits 
          wird selbst das Meer, einst Quelle des Lebens , zur Müllkippe der 
          Welt , die zum Himmel stinkt (Meer). Dieser Opa ist keinesfalls eine 
          Umweltsau. Und erst recht kein peinlicher Tourist, der sich im Hotel 
          mit Heu und Gras verwöhnen lässt - durch die Blume somit als 
          Vieh beschimpft (Hotel). Aber wie sollte es anders sein im Kreislauf, 
          der Plastikmenschen end- & ausweglos nur falsche Inhalte in 
          falschen Formen bietet (Runde für Runde). Als Trost bleibt dem 
          Einsamen gerade mal ne Wärmflasche, my sweatheart (Du Flasche). 
          Und eine süße To Do Liste: die Reichen bestehlen / die Dummen 
          vergiften ... Gegen Langeweile hilft Musizieren singen, z. B. eine trübsinnige, 
          aber dadurch auch eigene Version von „ It Was a Very Good Year: 
          als er fünfzehn war / war es ein freudloses Jahr ... als er zwanzig 
           war / war es ein eisiges Jahr... als er dreißig war / war 
          es ein schlechtes Jahr... (Die Jahre). Gescheiterte Existenz letztlich, 
          aber dennoch ein gutes Lied. Und insgeheim denkt man ja doch: sei 
          es drum... als kleiner König angefangen / aufgehört als ..gott 
          (Jubiläum). Allerdings als Gott außer Dienst, kein Götze, 
          kein Popanz - das ist bloß eine Phantasie - und entsprechend hilflos: 
          ich kann keinen Trost spenden / und keine Einsamkeit lindern... 
          das ist die Realität. Also: haut endlich ab. Ich bin kein 
          Star, lasst mich in Ruh. Das Ich hat sich Sommersonntagabend“-Friede 
          verdient: schaue aus dem Fenster / Schwalben fliegen... Krähen 
          sitzen im Baum... Radler strampeln... Nachbarn grillen im Hof. Auf 
          die Frage "Was warn heud los?" antworten können: 
          Midm hund schbazifiziern / nachbarn von hindn jesehn... 
          Und schließlich als 'Der Hinterbliebene': aufräumen / 
          und saubermachen / am besten desinfizieren / die Lichter löschen 
          / Fassung wiederfinden... und im Wartezimmer zum Jenseits eins 
          aufrücken. Erbaulich ist das nicht, was Mälzner da bietet, 
          aber verdammt ehrlich in seiner alterswerklichen Neusachlichkeit. Die 
          Beobachtungsgabe und das poetische Auf-den-Punkt-Kommen ist wie immer 
          bemerkenswert, der Identifikationsfaktor erschreckend hoch. Des 
          alten Knaben Wunderhorn mischt, drahtharfig, trompetenelegisch 
          und mit Sprechgesängen, kindliches 'Fangerles' mit der Hatz auf 
          Außenseiter. Mälzner pickt Gitarre wie Bill Orcutt, 
          er singt wie HAL auf Valium und knarrt wie ein Steinbeißer, er 
          beklagt mit Charles Trenet zu Zweifingerpiano das malträtierte 
          Meer und beobachtet den Lauf der Zeit mit Frank Sinatras Augen. Einhandkeys 
          und simpel getupfter, lasch geklopfter Beat unterstreichen den meist 
          bassigen Sprechgesang, der sich gelegentlich verjüngt oder 
          animiert zum Bariton aufschwingt, so wie auch die Musik pseudoorchestral 
          anschwillt, als Reklame für aufgeblasene Sensationen. Während 
          andere, 60 Jahre präsent, mit ihren Hunderten von Arbeiten 
          nicht mal ein Steckenpferd satteln oder sich den sauren Mund mit Gänsedaunen 
          abwischen können, auf dem langen N.N.-Marsch - Nichts Niemand Nirgends 
          Nie. Also lieber bloß zukukken und mit dem Akkordeon seufzen. 
          Keine Kirschen am Baum, aber 'n Erhängter an der Decke. Aus die 
          Maus, Leichenschmaus.  
           
          rbd BAD ALCHEMY # 106, Germany  
         
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